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„Von Kollegen - für Kollegen“ – Start des Simulationszentrums Schwaben
Am heutigen Montag, 19. April 2021 öffnet das Simulationszentrum Schwaben seine Pforten für den ersten Lehrgang. Dort werden Situationen aus dem Rettungsdienst-Alltag simuliert, jedoch keine besonderen Einsatzlagen. Zum Start haben wir mit Harry Geisser, Leiter des Simulationszentrums, gesprochen und die wichtigsten Fragen geklärt.
Warum braucht es das Simulationszentrum?
Wir vergleichen das gerne mit einem Piloten. Jeder von uns ist schon mal geflogen und hat sich darauf verlassen, dass der Pilot weiß was er tut. Vor allem in kritischen Situationen vertraut man ihm quasi blind. So ähnlich ist das auch im Rettungsdienst – wir üben ja auch nicht mit realen Patienten. Die beste Möglichkeit, um diese Situationen sinnvoll zu trainieren sind realitätsnahe Simulationen. Sie bieten die Chance, in einem geschützten Rahmen anspruchsvolle, kritische, aber auch seltene Situationen durchzuspielen und sie wie mit einer Fernbedienung anzuhalten, zurückzuspulen und zu wiederholen. So können wir verschiedenste Lösungsansätze ad hoc ansprechen.
Geht es dabei um die medizinischen Fertigkeiten?
Nein, das steht bei uns nicht im Vordergrund. Die Teilnehmenden kommen ausgebildet zu uns, haben ihr Handwerkszeug dabei. Infusionen legen müssen sie können. Wir achten besonders auf nicht-technische Skills, den Faktor Mensch: Kommunikation, Teamarbeit, Situationsbewusstsein, Entscheidungsfindung, Fehler- und Aufgabenmanagement.
Was wird im Zentrum simuliert?
Wir simulieren das tägliche Brot des Rettungsdienstes, Alltagssituationen, Notfälle, wie sie jeden Tag vorkommen. Die Teilnehmenden können die Theorie in der Praxis anwenden und Erfahrungen, sowohl positiv als auch negativ, sammeln. Unzufriedenheit und Stress im Einsatz entsteht meist nicht durch mangelndes Fachwissen, sondern durch die Komplexität der Situation. Kommunikation, situative Aufmerksamkeit und Entscheidungsfindung sind hierbei die Ursache für 70-80 % der Fehler, die in unserem Beruf passieren. Genau hier wollen wir ansetzen.
Wie geht ihr mit Fehlern um?
Wir verstehen sie als Chance und Potential zur Weiterentwicklung. Wir wollen für unsere Patienten eine bestmögliche Versorgung erreichen und dabei die persönliche Komfortzone, auch in schwierigen Situationen, erweitern und sicherer machen. Die Teilnehmenden bekommen keinen perfekten Masterplan, sondern für sie persönlich zugeschnittene Lösungsansätze. Jeder definiert seinen Lernbedarf selbst. Wir wollen die Sinne schärfen, Flexibilität lehren und echtes Leben simulieren.
Wer kann dort lernen?
Das Simulationstraining steht jedem im Rettungsdienst im BRK offen, egal ob Haupt- oder Ehrenamt. Wir haben für jede Ausbildungsstufe angepasste Szenarien und die dazugehörige Ausrüstung. Dabei ist es egal, ob sie mit LP1000, LP15 oder C3 arbeiten, es ist egal ob sie RTW- oder KTW-Ausrüstung gewöhnt sind. Jeder kann, darf und soll kommen! Hierbei sind wir an sich nur in den Ressourcen (Raum/Personal/Technik) auf zwei Kurse gleichzeitig begrenzt, aufgrund von Corona kann aktuell immer nur ein Kurs durchgeführt werden.
Was kann ich dort lernen? Was sind Beispiele für nachgestellte Szenen/Simulationen?
Wir verstehen unsere Simulation als gemeinsames Lernen. Sie ist weder Prüfung noch Actionfilm. Wir beüben sowohl 1c-Notfallmaßnahmen bei kritischen Patienten wie z.B. intramuskuläre Medikamentengabe bei Anaphylaxie, als auch 2c-Maßnahmen, die ohne Notarzt durchgeführt werden können. Zum Beispiel Glucosegabe beim Unterzucker. Alles, was außerhalb der Klinik passiert können wir simulieren: Transportnotfälle, Übergabe-Trainings, einen Schockraum, eine Arztpraxis.
Wie viel Platz steht euch dabei zur Verfügung?
Das Zentrum misst 420 m2. Darin gibt es eine Musterwohnung (50 m2) mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad, Treppe und einem Gartenbereich mit Terrasse und Kunstrasen. Daneben haben wir einen Sim-Raum mit einer Leinwand aus 4 Monitoren, die wir mit Szenarien bespielen können: sei es die Skipiste, ein Fahrradunfall oder ein Intensivzimmer – inklusive Ton, so ergibt sich ein stimmiges Gesamtbild.
Welche Technik wird für die Simulationen angewandt?
Wir haben in den einzelnen Bereichen feste und verstellbare Kameras, Deckenmikrofone und Lautsprecher, mit denen wir Hintergrundgeräusche einspielen oder Regieanweisungen geben können. Die Teilnehmenden tragen Funkmikrofone. Die Patienten werden mit Simulatoren dargestellt. Sie blinzeln, haben einen Pupillenreflex, atmen sogar richtiges CO2 aus. Zudem arbeiten wir mit einem Patientenmonitor-Simulator. Das ist ein Tablet, auf dem viele Geräte dargestellt werden können. Alles in allem viel Technik, weshalb wir in einem Dreierteam, bestehend aus einem Operator und zwei Instruktoren arbeiten.
Ihr verkabelt eure Teilnehmer auch, warum das?
Genau, für das Debriefing zeichnen wir Bild und Ton auf. Dadurch ist es uns möglich, einzelne Sequenzen in der Nachbesprechung genauer zu betrachten. Was hat nicht geklappt, was lief super? Alle Aufnahmen werden dann sofort gelöscht. Eine 3-fache Sicherheit gewährleistet, dass nichts gespeichert bleibt. Näheres hierzu regelt eine Dienstvereinbarung mit dem Gesamtpersonalrat. Außerdem gilt striktes Handy- und Tabletverbot, dafür gibt es Schließfächer. Alles, was im Zentrum passiert, bleibt im Zentrum. Wir wollten einen sicheren Raum für die Teilnehmenden schaffen.
Was passiert nach der Simulation?
Die Simulation dauert 15 Minuten, das Debriefing danach 30 Minuten. Während sich unsere Instruktoren für das Debriefing besprechen, führt der Operator den Fall weiter. So können wir die Teilnehmenden direkt in der Situation abholen, die Funkmikros abnehmen und sie in den Debriefing-Raum führen. Dadurch sind sie räumlich entfernt, aber emotional noch voll in der Situation, das nennt man Hot-Debriefing. In unserer Nachbereitung sprechen wir nicht über, sondern mit den Teilnehmenden. Wir verstehen das nicht als Einbahnstraße, denn auch wir wollen lernen. Uns interessiert warum sie etwas getan haben. Ich muss den Menschen erst verstehen, wissen wie er denkt. Wir wollen neue Wege, neue Blickwinkel und neue Herangehensweisen lernen. Der „alte Hase“ ist bei uns ein wertvoller Schatz, mit einem hervorragenden Bauchgefühl, entstanden aus jahrelanger Erfahrung.
Worin bestehen die größten Herausforderungen, in Pandemiezeiten Simulationstrainings zu realisieren und inwiefern hat Corona die Eröffnung beeinflusst?
Wir wollten etwas früher starten, aber sind froh, dass wir ein belastbares und sicheres Konzept gefunden haben. Mit dem Team des Zentrums haben wir uns nur virtuell treffen können, erst vorletzte Woche konnten wir uns zum ersten Mal in Präsenz treffen. Unser Hygienekonzept sieht Temperaturmessen und Symptome Abfragen vor; jeder macht einen Selbsttest. Es herrscht durchgehend FFP2-Masken-Pflicht. Während Szenarien, bei denen sich die Teammitglieder ziemlich nahekommen, haben alle zusätzlich Einmalhandschuhe und Schutzbrille an. Die Ausrüstung wird zwischen den Szenarien noch öfter als sonst desinfiziert. Pausen finden nur in der Cafeteria nach Zeitplan und mit Abstand statt.
Was möchtest du zukünftigen Lehrgangsteilnehmenden noch sagen?
Unser Motto lautet: Von Kollegen - für Kollegen! Ihr seid einer von uns und wir bewegen uns auf Augenhöhe. Auch wir wollen von euch lernen und sehen das Zentrum als Wegbereiter und Ideensammler. Hier wollen wir alle guten Lösungen zusammentragen.