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#blickinszentrum: "In Tirschenreuth gibt es in Sachen Corona viel zu tun"
Melissa Wagner ist 23 Jahre jung und Leiterin des Impfzentrums in Tirschenreuth. Im Hochinzidenzgebiet kämpft sie aktuell vor allem gegen Unsicherheit - und spricht mit uns über ihre neue Morgenroutine mit Rachenabstrich und das oft aggressive Verhalten von enttäuschten Menschen, die noch nicht an der Reihe sind.
Interview mit Melissa Wagner
Melissa, du bist für das Impfzentrum in Tirschenreuth zuständig. Wie geht's dir denn mit dieser Aufgabe?
Es ist ein großes Geschenk und natürlich nicht selbstverständlich, in meinem Alter eine solche Leitungsposition zu haben. Aber das spricht ja auch für die Vielseitigkeit des BRK - man kann sich sehr gut weiterentwickeln. Wir sind natürlich an viele Gesetze und Regeln gebunden, aber ich habe ein tolles Team um mich und es macht einfach Spaß.
Wie sieht eigentlich dein Alltag als Leiterin des Impfzentrums aus?
Ich kümmere mich nicht nur um das Impfzentrum, sondern auch um zwei Testzentren mit zwei mobilen Testteams und drei mobile Impfteams. Wir sind in Tirschenreuth Hochinzidenzgebiet und da gibt es in Sachen Corona viel zu tun. Mein Arbeitsalltag: Ich stehe früh auf, dusche und mache erst einmal einen Schnelltest. Ich bin für alles verantwortlich und möchte jeden Tag einmal an jeder Station sein - einfach um präsent zu sein, wenn es Fragen oder Anregungen gibt. Wenn es der Terminkalender zulässt, arbeite ich auch ein paar Stunden in den Zentren mit, mache Abstriche, stelle mich als Impfhelfer zur Verfügung.
Und wie zieht man ein solches Impfzentrum dann hoch?
Man braucht Inventar, Stühle, Computer, Verbrauchsmaterial. Man muss sich über Lagerhaltungen Gedanken machen. Man braucht Personal. Dazu gehören die Stellenausschreibungen, die Bewerbungsgespräche. Es gab natürlich auch Vorgaben von der Regierung, an die man nicht gleich denken würde. Das waren zum Beispiel eine eindeutige Wegführung durch das Zentrum. Wir haben Trennwände aufgestellt und Türklinken entfernen lassen, damit die Menschen, die zu uns kommen, nicht durch die falschen Türen gehen.
Und wer sind die Menschen, die schon zu euch zum Impfen gekommen sind?
Wir befinden uns immer noch in der Prio-1-Gruppe, weil immer noch sehr wenig Impfstoff zur Verfügung steht. Im Moment sind das Klinikpersonal, Rettungsdienstpersonal, die Kollegen aus dem Test- und Impfzentrum. Wir haben einen Pool an Leuten aus dem Katastrophenschutz oder der Polizei aufgebaut, für den Fall, dass am Abend noch Impfstoff übrig bleibt. Wir wollen nichts wegwerfen, und diese Menschen sind im Einsatz schnell erreichbar.
Wieso bleiben Impfdosen übrig?
Die bleiben übrig, wenn Leute nicht zu ihrem Termin erscheinen oder sich unter falschen Angaben einen Termin erschlichen haben. Wenn jemand bei der Terminvergabe angegeben hat, dass er bereits 80 Jahre alt ist, aber in Wirklichkeit erst 78 ist, dann müssen wir den hier bei uns leider abweisen, weil wir an die strengen Vorgaben gebunden sind. Es gibt auch Fälle, in denen der Arzt aufgrund von Vorerkrankungen oder Allergien entscheidet, dass die Impfung für die Person nicht geeignet ist.
Wieviele Menschen habt ihr bereits geimpft?
Wir haben ungefähr 6.000 Leute bereits geimpft, Erst- und Zweitimpfungen zusammen. Das entspricht bei uns bei 72.000 Einwohnern knapp acht Prozent. Zusätzlich haben wir bereits die Erst- und Zweitimpfungen in den Pflegeheimen durchgeführt, und sind gerade dabei, eine dritte und vierte Runde in den Pflegeheimen zu ziehen. Manche Bewohner wollen jetzt doch noch geimpft werden, weil sie merken, dass es die Nachbarin gut vertragen hat.
Und wieviele könnt ihr aktuell impfen?
Grundsätzlich sind wir momentan darauf ausgerichtet, 300 Impfungen am Tag durchzuführen. Wir sind aber in einem ehemaligen Krankenhaus eingemietet, das heißt, Kapazitätserhöhungen sind bei uns überhaupt kein Problem, weil dann macht man die nächste Türe auf und nimmt sich noch ein paar Räume dazu.
Welche Impfstoffe nutzt ihr gerade?
Wir können bald alle drei zugelassenen Impfstoffe verimpfen. Momentan verwenden wir Comirnaty von Biontech/Pfizer, haben auch bereits eine Lieferung mit Astra Zeneca erhalten und Moderna in Aussicht gestellt bekommen.
Wir haben schon über Impfstoffknappheit, logistische und organisatorische Hürden, Anforderungen der Regierung gesprochen. Welche sind die größten Herausforderungen, die du als Leiterin des Impfzentrums erlebst?
Den Spagat zu schaffen zwischen den vielen vielen Menschen, die eine Impfung wollen und dem Impfstoff, den wir tatsächlich zur Verfügung haben. Uns liegt viel daran, die vielen Informationen für die Menschen greifbar zu machen und veröffentlichen deshalb viel auf Facebook, im öffentlichen Fernsehen, im öffentlichen Radio, auf der Website des Landkreises. Uns wird leider sehr viel mit Aggression begegnet, weil die Leute Angst haben. Viele hoffen, dass sie mit aggressivem Verhalten schneller ans Ziel kommen. Deshalb werden unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch kommunikativ geschult, damit sie wissen, wie sie sich selber schützen können und damit das Gegenüber versteht, dass wir die Menschen impfen wollen, dafür sind wir ja auch da. Aber wir können es nicht in dem Maße tun, wie wir es gerne würden.
Jetzt zu den schönen Momenten - was erlebst du aktuell in deiner Tätigkeit?
Die Leute, die hier waren und unglaublich dankbar sind, bringen uns auch öfters etwas Selbstgebackenes, eine Tafel Schokolade, ein paar Blumen oder schreiben einfach eine nette Email. Wir drucken solche Nachrichten aus und hängen sie auf. Man braucht dieses Lob, man braucht etwas Positives in dem ganzen Stress. Ich arbeite in einem großartigen Team, sogar Familienmitglieder sind dabei, die gesagt haben: Okay, wir machen bei dir mit.
Das heißt, das Thema Corona-Impfung dominiert auch am Frühstückstisch Zuhause?
Ich hab's mir selber ausgesucht, ich wollte es unbedingt und genieße es, darüber zu reden. Aber manchmal muss man erkennen, wenn es zuviel wird - und dann redet man halt über etwas anderes, sucht sich einen Ausgleich, geht spazieren oder in die Badewanne.
Kommst du überhaupt noch zum Schlafen aktuell?
Ja, das muss! Im Dezember war's schlimmer. Während des Aufbaus des Impfzentrums haben wir alle sehr wenig geschlafen.
Bist du selbst schon geimpft? Und wenn ja, wie war's?
Ich selber bin geimpft, für mich hat sich auch die Frage nie gestellt. Ich gehöre durch meine Tätigkeit zur Prio-Gruppe 1 im Test- und Impfzentrum, und es ist ein großes Privileg für mich. Ich bin froh, dass ich den Schutz in Anspruch nehmen darf und ich hab es gut vertragen.
Gehst du jetzt mit Impfschutz anders durch die Welt?
Nein, ich befolge dieselben Schutzmaßnahmen wie davor: Abstand, Maske, Kontakt nur, wenn es sein muss und jeden Morgen ein Schnelltest, ein- bis zweimal die Woche ein PCR-Test. Das gehört dazu. Ich erlebe immer wieder, wie schnell es geht, dass Menschen positiv sind und wie überrascht sie oft sind. Die meisten merken es ja wirklich überhaupt nicht und können es weitertragen.
Dann ist der Rachen schon mit Hornhaut versehen?
So ungefähr, ja. Wir haben zum Glück Rachen-Schnelltests, da war unser Chef sehr gnädig.
Die Wogen und Emotionen gehen bei dem Thema Impfen ja aktuell sehr hoch, die Debatte ist intensiv. Wie begegnest du Ängsten und Sorgen der Menschen?
Die Menschen kennen uns aus der Zeitung. Wir werden beim Metzger oder im Supermarkt angesprochen. Dann stellen wir uns den Fragen, es gehört zu unserer Aufgabe als BRK-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in diesem Bereich zu unterstützen.
Wenn du dir etwas von der Gesellschaft, von der Regierung wünschen dürftest, was wäre das?
Das gegenseitige Vertrauen, das Miteinander, die gegenseitige Rücksicht. Unser Ziel ist es, dass wir alle Menschen impfen, die geimpft werden wollen. Dafür sind wir da. Aber ich wünsche mir, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht bedroht oder angeschrien werden, wenn sie gerade keine Impfung für die jeweilige Person zur Verfügung stellen können. Und von der Regierung wünsche ich mir Zuverlässigkeit, Transparenz und Informationsfluss. Ich will, dass ich mich auf das, was mir heute Morgen gesagt wird, auch am Abend verlassen kann.