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„Diese Lage ist mit Worten nicht zu beschreiben“
Holger Zirkelbach hat vergangene Woche die bayerischen PSNV-Einheiten in Rheinland-Pfalz geführt. Für den Bezirksverband Oberbayern des BRK war er im Schadensgebiet im Einsatz und erzählt uns im Gespräch von seinen Eindrücken. Wie der Dialekt aus Bayern hilft und was er so schnell nicht mehr aus dem Kopf bekommt.
Wie lange waren Sie in Rheinland-Pfalz im Einsatz und wo genau?
Ich war stationiert in der PSNV-Sammelunterkunft am Nürburgring, von dort aus sind wir in verschiedene Gebiete gefahren: Schuld, Insul, Ahrweiler, Dernau und Remagen. Von Montag, 19. Juli bis Samstag, 24. Juli 2021 war ich im Einsatz.
Sie haben die bayerischen PSNV-Einheiten geführt: Was war Ihre Aufgabe?
Ich habe die Einheiten geführt, aber ich bin auch draußen bei den Leuten gewesen und bin mit in die Betreuung gegangen. Mein Führungsstil ist eher aus der Mitte heraus. Die Führungsrolle hat sich aber erst vor Ort spontan ergeben, im Laufe des Einsatzes habe ich auch Einheiten aus Stralsund und Berlin geführt sowie Transport Komponenten aus Altenkirchen und Arzfeld. Das hatte alles nichts mit einem normalen PSNV-Einsatz zu tun, wir haben eher unterschwellig agiert. In Sinzig sind 12 Menschen mit Behinderung ertrunken, mit den Angestellten des Heims und der Behindertenwerkstatt haben wir viele intensive Gespräche geführt. Einsatzkräfte sind auch auf uns zugekommen, es gab immer wieder Bedarf von vielen Seiten.
Sie haben sicher viele erschütternde Dinge gesehen – was wird Ihnen nicht so schnell aus dem Kopf gehen?
Ich war in Ahrweiler und der Friedhof dort war total verwüstet. Es steht fast kein Grabstein mehr, eigentlich ist gar nicht mehr erkennbar, dass das mal ein Friedhof war. Dort habe ich einen Mann getroffen, dessen Familie bereits vor dem Unglück verstorben war. Er hat bei der Katastrophe vieles verloren und keine Bilder mehr von seiner Familie, nun hat er nicht mal mehr ein Grab von ihnen.
Wie können Sie als PSNV-Einheiten helfen? Vertrauen sich die Leute schnell fremden Personen an?
In diesem Fall war es eher so: Man muss die Leute machen lassen. Die schaufeln und werkeln, wir wollen diese Tätigkeit nicht unterbrechen. Wir sind vor Ort, haben Wasser, Schokolade oder etwas Traubenzucker dabei und sprechen sie eher an mit „Trinken Sie doch mal einen Schluck“, dann kommt man eventuell ins Gespräch. Es gibt viele Betreuungsstellen, wo Essen ausgegeben wird. Auch da sind wir vor Ort, sind ansprechbar für diejenigen, die das möchten. Mit dem bayerischen Dialekt kommt man auch gut ins Gespräch. „Ihr kommt ja nicht von hier, das hört man.“ „Ihr seid aus Bayern? Da kommt ihr extra her?“ Sowas startet etwas niederschwellig, dann geht es tiefer.
Was gehört noch zu Ihrem Aufgabenspektrum?
Wir begleiten das Überbringen von Todesnachrichten oder stehen den Menschen bei, wenn ihre Häuser abgerissen werden. Es nimmt die Leute sehr mit, wenn sie schon tagelang Dreck aus dem Haus gebracht haben und es dann doch abgerissen werden muss. Diese Lage ist mit Worten nicht zu beschreiben – Infrastruktur, Strom, Wasser, alles ist weg. Es hat Orte gegeben, die erst nach 4 Tagen zum ersten Mal erreicht wurden, die Leute dort haben ausgeharrt, das ist unvorstellbar.
Nicht nur Betroffene, auch Einsatzkräfte benötigen Unterstützung. Inwiefern unterscheidet sich Ihre Arbeit bei diesen beiden Gruppen?
Wir bezeichnen das als E-PSNV, das E steht für Einsatzkraft. Das läuft ganz anders als für Betroffene, weil wir bereits davor viel Prävention betreiben. Wir sprechen auf Augenhöhe, von Kamerad zu Kamerad. Ein Feuerwehrler, der Leichen geborgen hat, setzte sich zu mir und wollte kurz reden – daraus sind 1,5 Stunden geworden. Jemanden aus meinem eigenen Team würde ich aber nicht betreuen, da braucht es eine Grenze. In der Akutphase, wenn man jetzt jemanden zum Reden braucht, sind wir natürlich da. Jeder entscheidet selbst, wem er vertraut. Was mir besonders aufgefallen ist: egal welche Ausrüstung oder Uniform man trägt, es gab ein sehr deutlich spürbares WIR-Gefühl und auch schöne Momente.
Warum ist dieser Einsatz auch für langjährig erfahrene PSNVler eine Herausforderung?
Neben der Masse der betroffenen Menschen, ist es für mich die Wucht der Zerstörung. Auch weil diese nicht örtlich zu begrenzen ist. Ein ganzes Tal wurde mit einer unvorstellbaren Wucht zerstört, teilweise waren die Flutwellen 10m hoch und haben ganze Brücken weggerissen. Wenn man all das sieht, kann man die Gewalt, die dort gewütet hat, zwar nachvollziehen, aber nicht verstehen.
Würden Sie wieder in einen solchen Einsatz gehen, wenn Sie wissen, was für ein Schadensausmaß Sie erwartet?
Selbstverständlich. Das ist das, warum ich dieses Ehrenamt mache. Wir können in diesem Moment helfen und die Hilfe ist wichtig und sie ist gut. Ich würde es jederzeit wieder machen. Ein großer Dank gilt all meinen Kolleginnen und Kollegen, auch denjenigen im Hintergrund oder die zuhause die Stellung gehalten haben, besonders aber Iris Schessel, unserer Bezirksfachdienstleitung.
Wie sieht die Ausbildung bei den PSNV-Einheiten aus?
Um bei uns mitzumachen führt man zuerst Eignungsgespräche, danach folgt ein Grundlehrgang von 16 Stunden, anschließend ein Fachlehrgang von 88 Stunden. Als Praktikant begleitet man 1-2 Einsätze, damit man weiß, was auf einen zukommt. Danach legt man eine Prüfung ab und fährt schließlich bei 10 Hospitationseinsätzen mit. Dann kann man helfen, aber man lernt mit jeder Erfahrung weiter dazu. Es vergeht kein Einsatz, bei ich nichts dazulerne. Eine derartige Katastrophe wie in Rheinland-Pfalz habe ich zum ersten Mal erlebt. Sich auf die Situation einlassen, mit Struktur an die Sache rangehen und seinen gesunden Menschenverstand einsetzen – darauf kommt es an. Erleben, abarbeiten und dann verkraften gilt auch für uns. Auch PSNVler brauchen und bekommen Unterstützung.