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Digitalisierung und Demenz – Wie passt das zueinander?
Digitale Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen sowie ein Demenzregister, das den Langzeitverlauf der Erkrankung dokumentiert – das sind die beiden Säulen des "Digitalen Demenzregisters Bayern". Auch einige Kreisverbände des Bayerischen Roten Kreuzes beteiligen sich daran. Die Pflegewissenschaftlerin Nadja Hofmann sprach mit Hr. Prof. Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg über die Chancen, die digitale Projekte wie "digiDEM Bayern" für die Versorgung in der Region eröffnen können.
Nadja Hofmann: Die Versorgungssituation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen ist häufig schwierig, insbesondere in ländlichen Regionen. Wie kann das Digitale Demenzregister Bayern, kurz digiDEM, Betroffenen helfen?
Prof. Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas: Als Versorgungsprojekt, das vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert wird, möchten wir die Situation der Betroffenen nachhaltig verbessern. Dabei verfolgen wir zwei Ansätze: Erstens entwickeln wir konkrete digitale Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Dazu zählen Online-Therapien und ein standortbezogener, personalisierter Wegweiser, der die vorhandenen Unterstützungsleistungen übersichtlich bündelt. Auch Austauschplattformen sind geplant, zum Beispiel für ehrenamtliche Helferinnen und Helfer. Diese Angebote werden insbesondere für Betroffene in ländlichen Regionen hilfreich sein, weil es dort mitunter nur wenig Unterstützungsleistungen gibt.
Darüber hinaus möchten wir mit digiDEM Bayern dazu beitragen, die Versorgungssituation in Bayern auch langfristig zu verbessern. Dazu werden wir ein digitales Register aufbauen, das den Verlauf der Erkrankung sowie die Belastung pflegender Angehöriger dokumentiert. Wir werden in allen sieben Regierungsbezirken Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen über einen Zeitraum von drei Jahren in standardisierten Interviews befragen. Wie entwickelt sich die Erkrankung? Welche Unterstützungsleistungen nehmen sie in Anspruch? Welche weiteren Angebote bräuchten sie? So werden wir durch das Register Versorgungslücken aufzeigen können.
Welche Menschen kommen für eine Teilnahme am Projekt in Frage?
Das sind Menschen mit leichten kognitiven Einschränkungen und mit leichter oder moderater Demenz, weil die Erkrankung im Projektverlauf ja fortschreiten wird. Sie sollten im häuslichen Umfeld leben und eine feste Pflegeperson haben. Auch pflegende Angehörige möchten wir befragen. Zurzeit suchen wir noch mögliche Kooperationspartner, die Betroffene für eine Studienteilnahme gewinnen können. Das sind z.B. ambulante Pflegedienste, Beratungsstellen, Betreuungsgruppen, Wohngemeinschaften, Haus- und Facharztpraxen, Gedächtnisambulanzen, Memory-Kliniken, Tagespflegeeinrichtungen, Tageskliniken, Akutkliniken und Rehabilitationseinrichtungen. Wir freuen uns darüber, dass sich auch eine Reihe von Einrichtungen des Bayerischen Roten Kreuzes zu einer Kooperation entschlossen haben und hoffen auf weitere BRK-Partner. Klicken Sie hier, um sich als Kooperationspartner zu registrieren.
Viele Angestellte gerade im Pflegebereich sind überlastet – was sagen Sie denen? Was haben die Kooperationspartner von einer Zusammenarbeit?
Zum einen gibt es eine Aufwandsentschädigung für die Kooperationspartner. Ihre Arbeit wird darin bestehen, die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zu befragen. Dabei werden sie von regionalen Projektassistenzen begleitet und unterstützt. Denn uns ist wichtig, dass die Kooperationspartner eine Ansprechperson vor Ort haben und dass das erworbene Wissen auch in der Region verbleibt.
Zum anderen können die Kooperationspartner durch eine Teilnahme bei digiDEM Bayern selbst daran mitwirken, die Versorgungssituation – also auch ihre eigenen knappen Ressourcen – zu verbessern. Wir müssen zunächst erfragen, woran es fehlt, um dann darauf aufmerksam machen zu können. Aus diesem Grund ist es uns so wichtig, bayernweit vertreten zu sein und möglichst auch in entlegenen Regionen, wo es bei der Versorgung wirklich „brennt“.
Für ihre eigenen Einrichtungen können die Kooperationspartner auch separate Auswertungen von uns erhalten, mit denen sie dann ggf. Argumentationsmaterial haben, wenn es zum Beispiel um Stellen oder Gelder geht.
Wie relevant ist das Thema Digitalisierung im Gesundheitsbereich und speziell im Demenzbereich?
Die Digitalisierung wird die Gesundheitswirtschaft deutlich verändern. Dieser Prozess ist bereits in vollem Gange, zum Beispiel durch das Digitale-Versorgung-Gesetz. Es werden neue Strukturen entstehen, Versorgungsabläufe werden sich verändern, und wir – alle Akteure im Gesundheitsbereich – müssen diese Prozesse immer zum Wohl der Patientinnen und Patienten steuern. In digitalen Angeboten liegt meiner Ansicht nach ein Riesenpotenzial, weil sie individuell, d.h. personalisiert und in vielen Fällen zeit- und ortsunabhängig eingesetzt werden können. Zudem sind sie häufig niedrigschwellig zugänglich. Darüber hinaus lassen sich gesellschaftliche Herausforderungen, wie die weiter steigenden Kosten im Gesundheitssystem und der Pflegenotstand gar nicht mehr bewältigen, ohne die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen.
All diese Punkte lassen sich auch auf den Demenz-Bereich übertragen. Die hohe Relevanz des Themas Demenz hatte auch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege schon sehr früh im Blick: Bayern hat 2013 als erstes Bundesland eine Demenzstrategie mit zehn Handlungsfeldern beschlossen. DigiDEM Bayern ist als Projekt des Handlungsfeldes „Grundlagen- und Versorgungsforschung“ Teil der Bayerischen Demenzstrategie.
Was gab den Anlass für das Projekt digiDEM Bayern?
DigiDEM Bayern ist die logische Konsequenz aus einer Vorgänger-Studie, dem „Bayerischen Demenz Survey“ (kurz „BayDem“), die von 2015 bis 2017 in Erlangen, Kronach und Dachau durchgeführt wurde. Für BayDem haben wir rund 700 Menschen mit Demenz und ihre pflegenden Angehörigen befragt. Die Ergebnisse zeigten gravierende Defizite in Bezug auf den Zeitpunkt der Diagnosestellung, die Vermittlung von Informationen über die Krankheit und die Wahrnehmung von Unterstützungsangeboten.
Bei mehr als der Hälfte der Befragten dauerte es zum Beispiel nach dem Auftreten der ersten Symptome länger als ein Jahr, bis die Diagnose gestellt wurde. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung gaben 50 Prozent der Teilnehmenden an, keine Informationen über den Verlauf der Krankheit erhalten zu haben. Und obwohl die befragten Angehörigen sich zu über einem Drittel schwer belastet fühlten, wurde etwa ein ambulanter Pflegedienst nur von rund 36 Prozent der Menschen aus dem ländlichen Raum in Anspruch genommen. Im städtischen Raum waren es sogar nur 27 Prozent. Diese Defizite haben für uns den Anlass für das Projekt digiDEM Bayern gegeben.
Das DRK-Kompetenzzentrum Süd ist auf die Ergebnisse des digiDEM gespannt und wünscht Professor Dr. med. Peter Kolominsky-Rabas, Leiter des Interdisziplinären Zentrums für Health Technology Assessment und Public Health der Friedrich-Alexander-Universität und dem Forschungsteam viel Erfolg.