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„Ich stehe mit Patienten auf der Straße“
Lothar Ricker ist seit 30 Jahren Notfallsanitäter im Kreisverband Eichstätt und selbst bereits zweimal an Covid-19 erkrankt. Mit uns hat er über knappe Luft, knappe Klinikressourcen und über Politiker gesprochen, die die vierte Welle verschlafen haben.
Wir wissen, dass dein Arbeitsalltag zur Zeit sehr intensiv ist. Was ist für dich als Notfallsanitäter am schwierigsten an der aktuellen Situation?
Das schwierigste ist, Patienten überhaupt in der Klinik unterzubringen. Wir müssen bei der Leitstelle momentan für jeden Patienten einzeln anfragen, welche Klinik wir anfahren können. Das sind zum Teil weite Strecken, Einsätze werden deutlich in die Länge gezogen. Wir stehen mit Notfallpatienten am Einsatzort und warten quälend lange Minuten, bis die Kolleg*innen in der Leitstelle endlich einen Platz für uns gefunden haben. Der hohe Hygieneaufwand und das Arbeiten mit FFP2-Maske und manchmal sogar mit Schutzoverall sind zwar notwendig, aber auch für uns eine Zusatzbelastung.
Wenn keine Intensivbetten mehr frei sind, was passiert dann?
Wenn noch kein Notarzt dabei ist, fordern wir diesen nachträglich an. Dann muss ich mich auf eine Klinik, auf eine Richtung festlegen, die ich anfahre. Der Notarzt kommt mir dann entgegen und hat die Möglichkeit, Zwangsbelegungen anzuordnen. Nach einer Zwangsbelegung verlegen wir normalerweise nach ein bis eineinhalb Stunden in eine andere Klinik.
Wie häufig kommt das aktuell vor?
Kommt auf die Notärzte an – aber das passiert gerade täglich.
Wie lange kann die Situation jetzt so weitergehen?
Es gibt jeden Tag Hilferufe aus den unterschiedlichen Wachen, sowohl aus dem Kreisverband, aber auch über die Kreisverbandsgrenzen hinaus. Wir haben aktuell viele Personalausfälle, die auf alle Fälle der Überlastung geschuldet sind. Wie lange das unser Gesundheitssystem noch aushält, will ich nicht vorhersagen.
Was wären deiner Meinung nach jetzt die wichtigsten Maßnahmen, um die Situation zu entschärfen?
Das Kind ist in den Brunnen gefallen, ich weiß nicht, was wir jetzt noch tun können. Ich bin enttäuscht, wenn ich in den Nachrichten höre, dass Politiker sagen: „Wir hätten nicht gedacht, dass es so kommt.“ Die Mediziner, die Notfallmediziner, das Robert-Koch-Institut haben dieses Szenario alle bereits im Sommer vorhergesagt. Die Politik hat geschlafen, es hat sich nichts geändert an den Arbeitsbedingungen.
Die Politik diskutiert jetzt eine Impfpflicht…
Mein Problem mit der Impfpflicht ist, dass sich das der Entscheidung des Einzelnen entzieht. Dennoch bin ich der Meinung, dass jede und jeder die Konsequenzen der eigenen Entscheidung tragen muss. Ich halte es für dumm, wenn man sich nicht impfen lässt, aber jeder Mensch hat ein Recht auf eigene Dummheit, ein Recht auf eigene Krankheit und mitunter ein Recht auf den eigenen Tod. Hart aber konsequent wäre, dass Menschen, die sich der Impfung verweigern, auf einen Intensivplatz aufgrund einer schweren Covid-Erkrankung verzichten müssten. Es frustriert, wenn ich mit einem Schlaganfallpatienten, einem Herzinfarktpatienten auf der Straße stehe und nicht weiß, wo ich hinsoll, weil die Kliniken überlastet sind.
Was kann aus deiner Sicht jeder Einzelne dafür tun?
Impfen und trotz Impfung die Hygieneregeln beachten. Das heißt: Maske tragen, Abstand halten, unnötige Kontakte reduzieren – auch als Geimpfte. Die Diskussionen darüber, ob die Impfung sinnvoll ist oder nicht ist übrigens auch belastend. Aber ich diskutiere nicht mehr, man kommt an die Pandemieleugner nicht mehr heran. Das geht durch Freundeskreise und Familien, ich kenne das auch aus meiner eigenen.
Du bist selbst zweimal an Corona erkrankt.
Dadurch, dass ich zum ersten Mal im Dezember 2020 erkrankt bin, bin ich mit der Impfung in Verzug gekommen. Das zweite Mal war heftiger, mit therapieresistentem hohem Fieber und starken Schmerzen, mit Belastungs- und Sprechdyspnoe. Als ich gespürt hab, wie mir die Luft knapp wurde, hat mich das darin bestätigt: Man darf nicht aufhören, Covid-19 ernst zu nehmen. Im Sommer wurden viele zu leichtsinnig.
Du bist bereits seit 30 Jahren dabei – wie hat sich deine Arbeit durch die Pandemie verändert?
Wenn man mir vor 30 Jahren gesagt hätte: Lothar, du wirst noch erleben, dass du nicht weißt, wo du mit deinen Patienten hinfahren kannst, du wirst von Kliniken abgewiesen und musst weit fahren, um deine Patienten unterzubringen. Dann hätte ich geantwortet: So etwas gibt’s nur in schlechten Filmen. Ich hätte vor der Pandemie die Zustände, die wir aktuell haben, nicht für möglich gehalten.