Meldungen
Neue Gefahren erfordern neue Konzepte
Angesichts neuer Gefahren und einer steigenden Zahl an Großschadenslagen ergeben sich neue Herausforderungen für den Katastrophenschutz. Besonderes Augenmerk gilt es hierbei auf das Ehrenamt zu richten. Denn ohne die Freiwilligen kann eine Versorgungssicherheit nicht mehr garantiert werden.
Die Fachdienste der Bereitschaften
Die Keyplayer beim Katastrophenschutz und Großschadensereignissen sind die Bereitschaften mit ihren neun Fachdiensten (Übersicht im Artikel). Die 1.003 Einheiten in Bayern mit ihren ca. 4.500 Mitgliedern sind rein ehrenamtlich organisiert und decken ein breites Spektrum an Kompetenzen ab: Mit Sanitätsdienst, Betreuungsdienst, Technik und Sicherheit, Informationen und Kommunikation, Suchdienst, Rettungshundestaffel, Motorradstreife, Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) sowie der Fachdienst für Gefahrenlagen mit chemischen, biologischen, radioaktiven, nuklearen und explosiven Gefahrenstoffen (kurz: CBRNE) können die Bereitschaften im Ernstfall die Versorgung, Behandlung, Aufrechterhaltung der Infrastruktur und die Nachsorge für die Betroffenen im Schadensgebiet gewährleisten.
Von den Anschlägen in Paris und in Belgien über das Zugunglück in Bad Aibling, der Flutkatastrophe im Landkreis Rottal-Inn und dem erschütternden Amoklauf in München bis hin zum feigen Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt: Die Zahl an Großschadenslagen und die Bedrohung durch neue Gefahren steigen.
Die Ereignisse der letzten Jahre machen deutlich, dass ein funktionierendes Krisenmanagement und eine erstklassige Ausbildung bei Großschadensereignissen wichtiger sind als je zuvor!
Theo Zellner, BRK-Präsident
Der Katastrophenschutzkongress des BRK stand 2017 mit dem Leitspruch „Ehrenamt im Katastrophenschutz - Brennpunkt der Zukunft" ganz im Zeichen jener tragenden Säule des BRK, ohne die die Hilfsorganisation schlicht nicht im Stande wäre, eine ihrer zentralsten Aufgaben zu erfüllen.
Das Ehrenamt bildet die Basis und das Rückrat unseres komplexen Systems der Hilfeleistung.
Donata Freifrau Schenk zu Schweinsberg, DRK-Vizepräsidentin
Ohne Ehrenamtliche kein Katastrophenschutz
Proaktiv und präventiv: Das BRK setzt auf einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, um seine Handlungsfähigkeit bei Großschadenslagen und Terrorgefahr zu verbessern. Dabei nimmt insbesondere die Sicherung personeller Kapazitäten für die Zukunft eine zentrale Rolle ein. Der soziodemografische Wandel sowie die Trennung von Arbeits- und Wohnstätte tragen dazu bei, dass Ehrenamtliche sich nicht mehr langfristig an eine Hilfsorganisation binden wollen oder können und nicht bereit sind, zum Teil lange Ausbildungszeiten in ihrer Freizeit in Kauf zu nehmen. Daher ist es dringlicher denn je, die Bevölkerung für die Wichtigkeit des Ehrenamtes und der übernommenen Aufgaben zu sensibilisieren.
Mit einem gemeinsamen Projekt zur Nachwuchsgewinnung, bei dem auch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (BayStMI) Flagge zeigt und mit der finanziellen Unterstützung der Hilfsorganisationen die Dringlichkeit dieser Maßnahme betont, wirbt die Arbeitsgemeinschaft Bevölkerungsschutz (Arge BvS) seit drei Jahren für Engagement. Einer Verlängerung des Projekts um weitere zwei Jahre wurde bereits zugestimmt. Insbesondere die neuen Medien mit ihren interaktiven Möglichkeiten werden hier als Kanäle genutzt, um in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Botschaften des BRK zu schaffen.
Digitale Kommunikation im Katastrophenschutz
Nicht nur beim Thema Nachwuchs, sondern auch bei Großschadenslagen, Katastrophen oder terroristischen Einsatzlagen wird die Kommunikation über soziale und digitale Medien immer wichtiger. Durch die hohe Eigendynamik von Informationen in den sozialen Medien ist es wichtiger denn je, die Informationsverteilung aus erster Hand aktiv mitzugestalten. Durch seriös aufgearbeitete Informationen, die über eigene digitale Kanäle verbreitet werden, können Falschinformationen verhindert werden. So wurde zum Beispiel durch die gute Arbeit der Münchner Polizei in den sozialen Medien ein größeres Informationschaos während des Amoklaufes in München (2016) eingedämmt. Etliche Falschinformationen fanden dennoch ihren Weg in die sozialen Medien. In umgekehrter Richtung bieten die digitalen Medien vielfältige Möglichkeiten die Datenlage der Einsatzkräfte zu verbessern. Mit einem gezielten „Social Media Crawling“ können Informationen aus einem Schadensgebiet gesammelt und direkt, innerhalb des Führungsstabes, an die jeweiligen Sachgebiete weitergegeben werden.
In Israel nutzen die Einsatzkräfte des Magen David Adom (Schwestergesellschaft des BRK in Israel) bereits eine App oder den Nachrichtendienst WhatsApp, um Livebilder an die Führungsstelle weiterzugeben und so die Einschätzung der Situation vor Ort zu verbessern. Natürlich ersetzen diese neuen Möglichkeiten der Kommunikation nicht klassische Strukturen innerhalb der Organisation oder mit den Medien. Nichtsdestotrotz ist es aufgrund des großen Potenzials der digitalen Kommunikationsformen unerlässlich, dass die Hilfsorganisationen hier Konzepte für die Zukunft entwickeln und ausreichend Ressourcen für eine Professionalisierung in diesem Bereich zur Verfügung haben.
Anpassung an die veränderten Herausforderungen der Welt
Neben den wertvollen Human Ressources muss auch die Frage nach dem Stand der Ausrüstung in den Fokus gerückt werden. Wo gibt es Nachbesserungs- bzw. Aufrüstungsbedarf, welche Neuanschaffungen sind sinnvoll? Das Risiko von Terroranschlägen mit biologischen oder chemischen Waffen steigt, entsprechend muss sich das BRK mit Equipment, das den aktuellen Entwicklungsstand wiederspiegelt auf derartige Einsatzszenarien vorbereiten.
Die persönliche Schutzausrüstung (PSA) des Fachdienstes CBRN(E) befindet sich auf dem wissenschaftlichen und technischen Sachstand von 2005. Anders als noch vor zwölf Jahren haben sich jedoch neben dem Markt selbst auch die Anforderungen an solche Schutzbekleidungen enorm verändert.
Die veränderten Herausforderungen der Welt erfordern eine angepasste Ausbildung und optimale Ausstattung.
Joachim Herrmann, bayerischer Staatsminister des Innern
Fehlende Motivation der Einsatzkräfte, ausgelöst durch fehlendes Material und Fahrzeuge, führte bislang zu der Auflösung von drei CBRN(E)-Einheiten des BRK. Wie kann man die gute und effiziente Zusammenarbeit zwischen dem BRK und dem Bayerischen Staatsministerium des Innern, die sich in der Vergangenheit vielfach bewährt hat, wie das Beispiel der getätigten Investitionen in die Gerätewägen Logistik zeigt, in eine neue, an die Anforderungen einer veränderten Lage angepassten Ära führen? Für die Hilfsorganisation liegt die Antwort in einem neuen Selbstverständnis beider Bündnispartner.
Derzeit ist im Bayerischen Katastrophenschutzgesetz (Artikel 11) die Kostenaufteilung so geregelt, dass die Hilfsorganisationen ihre Kosten für den Katastrophenschutz erst einmal selbst tragen müssen und der Staat je nach Haushaltslage Investitionen übernehmen oder unterstützen kann. In Zukunft braucht es eine Regelung, die langfristig für Klarheit und Planungssicherheit führt. „Wir brauchen einen neuen Deal, um den Herausforderungen im Katastrophenschutz dauerhaft gerecht werden zu können:
Wir stellen das ehrenamtliche Einsatzpersonal und der Freistaat zahlt die Ausbildung, die Ausstattung und die Betriebskosten.
Leonhard Stärk, BRK-Landesgeschäftsführer
Neue Ausbildungs- und Schulungskonzepte gefragt
Neben der notwendigen speziellen Ausrüstung bringt das BRK umfangreiche Finanzmittel für die Schulung seiner Mitarbeiter ein. Denn "neue Bedrohungen" erfordern neue Ausbildungsziele. Einen ersten wichtigen Schritt ist das BRK mit der Schulung von Multiplikatoren beim Thema „Besondere Einsatzlagen" bereits gegangen. Die 80 Teilnehmer/-innen übernehmen seit März 2017 ihrerseits die Schulung von 450 Ausbilder/innen in den Bezirksverbänden und trainieren mit dem aktuellen sanitätsdienstlichen Material "Rebel -Set Basis", bestehend aus Tourniquets, Gauze und EZ-IOs.
Die Einsatztaktiken des BRK sind der neuen Situation angepasst worden
Gleichzeitig schulen wir unsere vielen Mitarbeiter, auch die vielen Tausend Ehrenamtlichen, um auf für uns weitgehend ungewohnte Verletzungsmuster reagieren zu können.Michael Raut, Landesbereitschaftsleiter
Ein Wort, das bei der Formulierung neuer Ausbildungskonzepte großgeschrieben wird: Vernetzung. Nur wenn alle am Einsatz beteiligten Akteure schon vor dem Eintreten eines Schadensfalls zusammentrainieren, Codes und Routinen miteinander teilen sowie Konzepte miteinander entwickeln, kann sichergestellt werden, dass im Einsatz entsprechende Abläufe standardisiert und gerichtet ablaufen. Hierbei sind nicht nur Schnittstellen zu den Hilfsorganisationen im weißen Bereich, sondern insbesondere zur Feuerwehr, zum THW, zur Polizei, zur Bundeswehr und in die behördlichen Schienen notwendig. Und diese Schnittstellen müssen auch etabliert werden..
Dabei darf es nicht nur eine Rolle spielen, neue Ausbildungen zu konzipieren und umzusetzen, sondern auch die Vernetzung mit allen Akteuren tatsächlich sicherzustellen. Eine Perspektive, die auch das BayStMi teilt.
Im Hinblick auf die gestiegene Terrorgefahr müssen wir die Einsatzstrategien von Polizei und Hilfsorganisationen kontinuierlich anpassen und verbessern. Das erfordert eine intensive Zusammenarbeit und gemeinsame Trainings zwischen Polizei und Hilfsorganisationen, damit im Ernstfall ein Höchstmaß an Sicherheit für die Bevölkerung und die Einsatzkräfte gewährleistet ist.
Joachim Herrmann, bayerischer Staatsminister des Innern
Gemeinsames Training schafft Sicherheit für den Einsatz und garantiert den Erfolg aller teilnehmenden Einheiten. Das „Bayerische Zentrum für besondere Einsatzlagen“ soll in Zukunft genau für solche Trainingsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Gemeinsam durch das BRK und BayStMI initialisiert, ist es ein Pionierprojekt für Bayern und Deutschland, dass in der Zukunft des Bevölkerungsschutzes eine wichtige Rolle einnehmen wird. Gemeinsam stark: Ein Gedanke, der nicht nur auf nationaler Ebene greift. Erst Ende März dieses Jahres besuchte eine Delegation des BRK die Schwestergesellschaft Magen David Adom in Tel Aviv/Israel. Ziel war ein Informationsaustausch zum Thema Terrorismus- bzw. Großschadenslagen. Von dem Erfahrungsschatz der israelischen Kollegen, die auf terroristische Anschläge gut vorbereitet sind, profitiert das BRK in vielerlei Hinsicht. Hinsichtlich Alarmierung und Strukturen im Katastrophenfall finden sich in Israel einige Best-Practice-Beispiele: Im Terror- und Katastrophenfall erfolgt erstmal eine komplette Alarmierung der Einsatzkräfte (Einsatzkräfte stoppen kann man danach immer noch), professionelle Helfer sind per App vernetzt, es gibt verlässliche Strukturen zwischen Hilfsorganisationen und Polizei für die Kommunikation im Krisenfall und eine ständige Aufnahmebereitschaft von Krankenhäusern für Verletzte. Die Vernetzung mit Schutzorganisationen, die Ausweitung der Kompetenzen, die Schulung neuer Einsatztaktiken und Verhaltensweisen bedeuten einen hohen Schulungs- und Ausbildungsaufwand für die ehrenamtlichen Einsatzkräfte der Bereitschaften. Deshalb muss die Helferfreistellung in Zukunft auch die Ausbildung der Einsatzkräfte umfassen. Hierzu sind die Landesgeschäftsleitung des BRK und BRK-Präsident Theo Zellner in intensiven und erfolgreichen Gesprächen mit der Politik.
Wir haben bereits grünes Licht bekommen, dass die Helferfreistellung auf verpflichtende Ausbildungen ausgeweitet wird.
BRK-Präsident Theo Zellner
Was muss sich ändern?
Völlig neue Herausforderungen, denen sich der Katastrophenschutz stellen muss, erfordern neue Konzepte. „Staat, Hilfsorganisationen und Verbände stehen in einer gemeinsamen Verantwortung für die Sicherheit unserer Gesellschaft“, betonte Theo Zellner, BRK-Präsident, auf dem 10. Bayerischen Katastrophenschutz-Kongress des BRK. Für die Zukunft muss klar festgehalten werden, dass BRK und Staat gemeinsam Verantwortung übernehmen, damit das Ehrenamt auch in Zukunf Brennpunkt im Katastrophenschutz bleibt. „Wir definieren uns über das Ehrenamt im Katastrophenschutz. Und aus dieser Definition heraus müssen wir unsere Strukturen zusammenführen, für uns selber, aber auch in unseren Forderungen gegenüber dem Staat, Bund und Land“, formuliert BRK-Präsident Theo Zellner den Anspruch für die Zukunft.