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Pflegebredoullie oder Pflegekatastrophe?
Der demografische Wandel wirft seine Schatten voraus. Wenn wir nicht augenblicklich handeln, werden wir in Zukunft nicht nur einen Pflegenotstand, sondern eine echte Pflegekatastrophe erleben. Es gilt, sich den drängenden strategischen Themen der Pflege zu stellen – jetzt!
Eine immer älter werdende Bevölkerung bei gleichzeitig rückläufigen Zahlen an jungen Menschen im Fachkräftesektor: Die Pflege in Deutschland hat ein gewaltiges Problem. Eines, das man nicht aussitzen kann, denn der Trend zeigt, dass sich dieses Szenario in Zukunft eher verschärfen denn verbessern wird. Lösungen und ein schnelles Reagieren der Verantwortlichen aus der Politik sind gefragt, bevor das Wort „Versorgungssicherheit“ zu einer hohlen Hülse verkommt.
Das BRK will und kann die Augen nicht verschließen vor den bedrohlichen Entwicklungen im Pflegesektor. Getreu seinem Grundsatz der Menschlichkeit ist es bestrebt, Leben und Gesundheit zu schützen und ein würdevolles Leben im Alter zu gewährleisten. Bezogen auf die Pflege kann man nicht ohne Stolz festhalten, dass das BRK Leistungen und Maßnahmen konzipiert und bereithält, die ihresgleichen suchen:
Die „360-Grad-Pflege“ angefangen bei der Tages-, Kurzzeit-Pflege und der ambulanten Pflege über die Alten- und Pflegeheime bis hin zum betreuten Wohnen und zum Servicewohnen: Rund 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des BRK engagieren sich in 125 stationären und 35 Tagespflegeeinrichtungen sowie 120 ambulanten Pflegediensten. Betreut werden hierbei insgesamt rund 24.500 Bewohner und Patienten.
Pflegestärkungsgesetze I und II und ihre Folgen
Das Inkrafttreten der Pflegestärkungsgesetze I und II (PSG I und II) brachte deutliche Leistungsverbesserungen für die überwiegende Mehrzahl der anspruchsberechtigten Pflegebedürftigen, insbesondere in der ambulanten und teilstationären Pflege (95 %) bzw. in den höheren Pflegegraden stationär (75 %), führte aber auch zu einer Steigerung der Nachfrage nach ambulanten und teilstationären Leistungen. Die Steigerungen der ambulanten Leistungen gehen zu Lasten der stationären Einrichtungen, wodurch der Pflegegradmix in der stationären Pflege steigt.
Leider lässt die Reform drei zentrale Fragen bei der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung offen: Wie soll die Pflegeversicherung nachhaltig finanziert werden? Wie werden die zukünftigen Personalressourcen gesichert? Wie kann die Zivilgesellschaft mobilisiert werden? So ist nicht nur eine Erhöhung der stationären Leistungen überfällig, auch gilt es, das Image insbesondere der Altenpflege und der Alten-Pflegeberufe zu verbessern, um dem Pflegefachkraftmangel entgegenzuwirken. Der „Pflegemarkt“ ist zwischenzeitlich nicht nur angespannt, sondern richtig überhitzt und hoch gefordert: Die Mittel und Möglichkeiten, die Anzahl der Beschäftigten beispielsweise durch Ausbildungsbemühungen seitens der Einrichtungen und Träger zu steigern, sind erschöpft. Das führt zur gegenseitigen Abwerbung von Pflegefachkräften und Mitarbeitern durch Einrichtungen und Träger. Kleine Eigentümer/Träger verkaufen ihre Einrichtungen und Unternehmen an größere, anonyme, überregionale, häufig ausländische Betreiber- sowie Kapitalgesellschaften und auch in der freien bzw. öffentlichen Wohlfahrtspflege nimmt der Konzentrations- und Zentralisationsprozess zu.
Das BRK sieht daher dringenden Handlungsbedarf.
Eine Enquetekommission Pflege“ aller Beteiligten – der freien Wohlfahrt, der Verantwortlichen aus Politik, der Kostenträger, der Selbsthilfeverbände und der Wissenschaft – ist notwendig, um der existenziellen Herausforderung entgegenzuwirken.
Wolfgang Obermair, stv. Landesgeschäftsführer
Der Pflegealltag wird derzeit einfach nur verwaltet und der Personalnotstand muss wirkungsvoll sowie nachhaltig bekämpft werden. Die freie Wohlfahrtspflege muss deshalb dringend gestärkt werden, weil existenzielle Bedrohungen wie Versorgungsengpässe und Versorgungslücken durch eine weitere „Privatisierung“ bzw. „Liberalisierung“ der Pflege und des Sozialen nicht aufgefangen werden können. In puncto Pflegefachkraft- und Personalmangel gilt es, eine Diskussion über die „Flexibilisierung“ und „Individualisierung“ der sogenannten Fachkraftquoten der Landesheimgesetze anzuregen, ohne den Mindeststandard abzusenken.
Akquise von ausländischem Fachkräftepersonal
Neben dem primären Ziel, selbst Fachkräfte in Deutschland auszubilden, ist die Akquise von ausländischem Fachkräftepersonal bereits seit Jahren Thema im gesamten BRK. Mittels verschiedener Programme und Projekte sowie der Beauftragung von Recruiting Organisationen wird laufend darauf hingearbeitet, das Personalkontingent im Pflegesektor aufzustocken. So gewinnen im Projekt „Triple Win“ die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) qualifizierte Pflegefachkräfte aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und von den Philippinen für Einrichtungen der Kranken- und Altenpflege. Ein Rahmenvertrag mit der Schweizer Firma Care.com Switzerland AG zielt auf die Akquise von Fachkräften mit in Deutschland anerkannter Ausbildung auf den Philippinen. Dabei behält das BRK jedoch stets im Blick, dass nur in Ländern geworben wird, in denen kein Fachkräftemangel besteht. Derzeit bereitet das BRK seine Führungs- und Pflegekräfte intensiv auf die Eingliederung der akquirierten Pflegekräfte vor, da die wenigsten Erfahrungen mit interkultureller Zusammenarbeit haben. Was den Eingliederungsprozess zusätzlich bremst, sind die von den Regierungen praktizierten Prüfungsverfahren der Qualifikation, die sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Effektivere Prozesse der Behörden würden uns hier sehr helfen. Denn Ziel des BRK in diesem Jahr ist es, ca. 100 ausländische Fachkräfte einzustellen.
Wir brauchen Pflegekräfte aus dem Ausland, denn nur so können wir den Personalbedarf decken.
Brigitte Meyer, Vizepräsidentin
Strategien für den Weg in die Zukunft
Wichtige Schritte zur Schaffung einer einheitlichen pflegerischen Ausbildung sind das neue Pflegeberufegesetz ab dem Schuljahr 2020/2021 sowie der Ansatz der Akademisierung der Pflegeberufe mit dem Ziel, das Image der Altenpflegeberufe zu verbessern. Doch um tatsächlich mehr Auszubildende in die Altenpflegeberufe zu bringen und Absolventen dazu zu bewegen, sich für die Altenpflege und nicht für den Krankenhaussektor zu entscheiden, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden, auch eine bessere Bezahlung. Die Finanzierung der schulischen und betrieblichen Pflegeausbildung, die derzeit durch einen einheitlichen Ausbildungsfond geregelt ist, muss verbessert werden.
Die per Pflegestärkungsgesetz geforderte, am tatsächlichen Pflegebedarf der Menschen ausgerichtete Personalbemessung ist für die stationäre Pflege (nicht jedoch für die ambulante) begrüßenswert, die Frage nach der Umsetzung des Bemessungsverfahrens, dessen Entwicklung der Gesetzgeber bis 2020 einfordert, ist jedoch ebenso offen wie die Finanzierung des Personalmehrbedarfs. Ein neues Verfahren der Personalbemessung darf bisherige bayerische Personalschlüssel keinesfalls verschlechtern.
Der eigentliche Boom der Tagespflege hin zu einer flächendeckenden Versorgung mit entsprechenden qualitätsgesicherten Tagespflegeplätzen wurde nur durch die Leistungssteigerungen für die Tagespflege mit dem PSG I und II möglich. Denn erst die Erhöhung der Pflegeversicherungsleistungen konnte angemessene Entgelte garantieren, ohne die ein flächendeckender Aufbau mit Tagespflegeplätzen nicht realisierbar gewesen wäre. Die zuletzt in Bayern vereinbarten Verbesserungen für die Kurzzeitpflege „Fix plus X“ sind hingegen nicht wirklich ausreichend, um flächendeckend verbindliche Kurzzeitpflegeplätze anzubieten. Dies kann nur durch eine Erhöhung der Pflegeversicherungsleistungen für die Kurzzeitpflege geleistet werden.
Konzeptionelle Weiterentwicklung
Das BRK setzt auf die konzeptionelle Weiterentwicklung der Dienste und Einrichtungen. So wären sowohl bei der ambulanten Pflege Angebote zur Unterstützung und Entlastung im Alltag auf- und auszubauen als auch die qualitätsgesicherte Tagespflege bedarfsgerecht weiter zu entwickeln. Bei der stationären Pflege müssen neue Wege beschritten werden, klassische Mischeinrichtungen mit 100 und mehr Plätzen für Rüstige und Pflegebedürftige sind aufgrund der Wünsche und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen nach Privatheit, Selbstbestimmung, Autonomie, Selbstständigkeit und Transparenz Auslaufmodelle. Bei der Erarbeitung neuer Konzepte gilt es unter anderem, die veränderten Wohnbedürfnisse trotz Hilfe- und Pflegebedürftigkeit, die Zunahme palliativer Pflege und der Bewohnerfluktuation sowie die gestiegenen Qualitätsanforderungen zu berücksichtigen.
Mehr Fachkräfte, mehr Pflegevielfalt, eine attraktivere Ausbildung in den Pflegeberufen: Ansätze, die Pflegekatastrophe abzuwenden, sind vorhanden. Nun gilt es, entschlossen Nägel mit Köpfen zu machen. Nicht im Einzelkämpfer-Modus, sondern im Verbund. Dabei ist vor allem die verantwortliche Politik klar gefordert. Das BRK ist bereit, sich den Herausforderungen in der Pflege zu stellen.