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Wir bleiben so lange in der Leitung bis Hilfe kommt
Im Interview mit dem Ehepaar G. haben wir die Perspektive der Betroffenen im Notfall gezeigt. Am anderen Ende der Leitung war der Disponent der Integrierten Leitstelle, der Herrn G. Anweisungen zur richtigen Hilfe gab. Mit ihm haben wir über seine Sichtweise auf den Vorfall, seine tägliche Arbeit und die Unterscheidung zwischen der 112 und der 116117 gesprochen.
Erinnern Sie sich noch an den Fall des Ehepaar G.? Oder kommt eine derartige Geschichte häufiger vor?
Ja, ich erinnere mich gut, auch wenn der Fall schon etwas länger her ist. Er ist mir doch im Gedächtnis geblieben, unter anderem weil auch drei Kinder in der Wohnung waren, als es passiert ist. In der gleichen Woche kam noch ein Dankesschreiben per Email. Das ist nicht selbstverständlich. Natürlich ist es mein Job zu helfen, aber es ist trotzdem schön, wenn sich die Menschen in dieser Form bedanken. Für diese Wertschätzung möchte ich mich herzlich beim Ehepaar G. bedanken, das ist wirklich eine schöne Geste. So ein Feedback motiviert und gibt Kraft, wenn man weiß, dass man helfen konnte.
Es kommt tatsächlich schon öfter vor, dass wir bei reanimationspflichtigen Patienten den Kontakt mit den Anrufern oder Angehörigen halten bis der Rettungsdienst eintrifft. Herr G. hat alle meine Anweisungen hervorragend umgesetzt. Ich möchte nicht daran denken, was passiert wäre, wenn er nicht geholfen hätte. Mein aufrichtiger Respekt dafür!
Seit 2010 gibt es die Verordnung zur T-CPR anzuleiten. Wie oft mussten Sie schon zur telefonischen Reanimation anleiten?
Bis jetzt habe ich das etwa 10-20 mal gemacht, das kommt schon öfter vor, allerdings bin ich erst seit 2017 in der Integrierten Leitstelle tätig. Davor habe ich im Rettungsdienst gearbeitet und quasi die andere Seite gesehen.
Was ist die Herausforderung dabei? Haben Sie besondere Kommunikationsstrategien bei der Anleitung?
Das Problem ist: die Anrufer sind selbstverständlich aufgeregt. Da ist alles dabei, bis zur Hysterie oder Panik. Ein Patentrezept gib es nicht, jeder Anrufer ist anders. Am wichtigsten ist Ruhe bewahren. Das ist natürlich für die Anrufer schwierig, bei manchen ist es auch nicht möglich sie zu beruhigen, man darf nicht vergessen, dass sich die Menschen in absoluten Ausnahmesituationen befinden und oftmals sind Freunde oder Familie betroffen. Letztendlich ist das sehr individuell, aber Ruhe und Kompetenz ausstrahlen ist meistens der Schlüssel.
Herr G. hatte Probleme den Puls zu fühlen – wie haben Sie ihm dabei geholfen, gibt es einen Trick?
Vorweg ist zu sagen, dass die Pulskontrolle grundsätzlich nicht zu unseren Anweisungen und den Aufgaben der Ersthelfer gehört. Wie es in diesem Fall aber dazu kam, kann ich heute nicht mehr sagen. Viel wichtiger ist hier die Atemkontrolle mit unserer Anleitung.
Einen richtigen Trick gibt es dafür nicht. Es ist eigentlich ganz einfach, wenn man drei Finger neben den Kehlkopf (seitlich des Schildknorpels) legt und dann etwas tastet, fühlt man den Pulsschlag. Aber in der ganzen Aufregung ist es für den Anrufer schwer diesen aufzufinden und ruhig zu bleiben.
5 Uhr morgens ist schon sehr früh – wie sind die Schichten in der Leitstelle aufgeteilt? Wie bleibt man in der Nacht nicht nur wach, sondern auch „frisch im Kopf“ um jemanden zu einer Reanimation anzuleiten?
Wir haben überwiegend 12-Stunden-Schichten und der Anruf von Herrn G. kam eine Stunde vor Schichtende. In der Nacht können wir 4 Stunden im Haus Bereitschaft machen. Dadurch können wir etwas Kraft tanken und müssen nicht die komplette Nacht durcharbeiten, außer das Einsatzaufkommen lässt dies nicht zu. Frisch bleiben ist aber unbedingt notwendig. Ich versuche während der Arbeit nicht nur zu sitzen, sondern auch mal aufzustehen, mich etwas zu bewegen oder an die frische Luft zu gehen. Das hält den Kopf wach. Kaffee hilft bei mir tatsächlich nicht so viel.
Dass der Disponent „so lange“ am Telefon bleibt, ist eher ungewöhnlich, oder? In welchen Fällen unterstützen Sie Betroffene oder Angehörige noch, bis der Rettungsdienst eintrifft?
Bei der telefonischen Reanimation ist es nicht ungewöhnlich. Sei es auch nur um in der Leitung zu bleiben, falls Probleme aufkommen oder um Feedback zu geben, wann der Rettungsdienst eintrifft. Das gibt auch den Betroffenen ein besseres Gefühl, wenn Sie wissen, wann Hilfe kommt. Sie können besser mit der Situation umgehen, wenn ein Ende in Sicht ist und sie wissen, dass sie bald nicht mehr alleine sind.
Es gibt aber auch Ausnahmezustände, bei denen wir die Anrufer dann allein lassen müssen. Bei Großschadensereignissen wie Massenkarambolagen oder einem Großbrand glühen unsere Leitungen meist und wir müssen vielen Menschen gleichzeitig helfen. Wir informieren die Anrufer aber selbstverständlich darüber. Wenn es gewünscht oder aus unserer Sicht notwendig ist alarmieren wir dann auch das Krisen-Interventions-Team (KIT), damit diese ebenfalls zur Stelle sind. Auch beim Ehepaar G. haben wir das KIT dazu geholt, um die drei Kinder zu betreuen.
Wie schafft man es einen kühlen Kopf zu bewahren? Sie können die Situation zwar beurteilen, sind aber doch nicht dabei, das stellt man sich überaus stressig vor. Immerhin müssen Sie sich auf die Beschreibungen der sehr aufgeregten Angehörigen verlassen.
Das ist mitunter nicht immer ganz einfach. Ich war 23 Jahre im Rettungsdienst tätig und habe dadurch ein Bild von draußen vor Augen. Trotzdem bin ich in dem Moment nicht dabei und muss dem Anrufer vertrauen. Dinge zu hinterfragen hilft in dieser Situation. Wenn ein Anrufer von Kopfschmerzen spricht, frage ich zum Beispiel nach seit wann diese auftreten, ob das öfter vorkommt, ob Migräne oder Kopfschmerzen bekannt sind, ob eine Sehbehinderung vorliegt, zusätzlich Schwindelgefühle auftreten oder eine Sprachstörung vorliegt. Letztendlich muss ich mich auf die Beschreibung der Anrufer verlassen. Manchmal rufen aber auch Menschen im Auftrag von anderen an, in dem Fall kann man gar keine weiteren Antworten erwarten. Wir in der Leitstelle sind dann gefordert und müssen alarmieren. Sicherlich würde in manchen Fällen ein Anruf bei der 116 117, dem ärztlichen Bereitschaftsdienst, die entsprechende Hilfe bringen.
Was tun Sie, wenn der Angehörige sich nicht traut zu reanimieren? Wie nimmt man solche Ängste?
Gezwungen werden kann niemand zur Reanimation bzw. der Herzdruckmassage. Die Beatmung ist in der Laienreanimation übrigens kein Muss und wird nicht zwingend gefordert. Wenn sich die Person nicht in der Lage sieht mit unserer Hilfe zu reanimieren, dann nehmen wir das hin. Manche sind auch einfach körperlich nicht in der Lage die Herzdruckmassage durchzuführen, z. B. aufgrund des Alters, andere ekeln sich davor oder sagen, dass sie das nicht können. Wieder andere möchten aus ethischen Gründen nicht wiederbeleben. Es gibt für uns keinen Handlungsspielraum, wenn ein Anrufer nicht reanimieren möchte.
Viele haben auch Angst etwas falsch zu machen, dabei kann man das gar nicht wirklich. Wir leiten sehr genau an mit ganz klaren Ansagen wie was zu tun ist. Wo muss gedrückt werden und wie schnell. Wir versuchen – so gut es am Telefon geht – zu motivieren, zu unterstützen und gleichzeitig auch Ruhe über das auszustrahlen. So lange es nötig und möglich ist, bleiben wir am Telefon.
Manche Anrufer fordern uns auch, weil sie direkt loslegen wollen. Teilweise muss man die Leute etwas einfangen und sagen „Moment, ganz langsam, wir machen eins nach dem anderen.“ Das passiert eher selten, aber es kommt schon vor.
Was möchten Sie den Menschen noch mitgeben, falls sie einmal in eine solche Situation geraten?
Es ist wichtig zu unterscheiden: liegt ein Notfall bzw. eine lebensbedrohliche Situation vor oder nicht? Falls ja, ist die 112 die richtige Nummer. Für andere Fälle ist der Hausarzt oder am Wochenende und auch nachts die Nummer des ärztlichen Bereitschaftsdienst 116117 die richtige Wahl. Diese Nummer ist 24/7 besetzt. Das gilt zum Beispiel bei Schnupfen, Magen-Darm-Erkrankungen, Ohren- oder Blasenentzündung. Bei Bedarf kommt dann auch ein Arzt.
Und wenn ein Notfall vorliegt? Wie reagiert man richtig?
Am wichtigsten ist: Ruhe bewahren. So schnell wie möglich den Notruf absetzen, denn jede Minute zählt. Bei bewusstlosen Personen ohne Atmung, sollte die Herzdruckmassage durchgeführt werden bis der Rettungsdienst am Einsatzort eintrifft. Sprechen Sie Passanten zur Unterstützung an. Wir bleiben in der Leitung bis die Hilfe da ist. Es gibt eigentlich nichts falsch zu machen, außer man macht gar nichts. Ein Rippenbruch, wenn man zu fest gedrückt hat, ist hier wirklich das kleinere Übel!
Und wenn ich dann den Notruf wähle, wie viele Details brauchen Sie?
Das ist kein Hexenwerk, man kann sich an die 5 W-Fragen halten. Wo ist es passiert? Wer ist betroffen? Was ist genau geschehen? Wie viele Menschen sind betroffen? Und ganz wichtig: Warten für Rückfragen.
Was passiert, wenn die Leute in der Aufregung nicht warten? Haben Sie eine Chance zurückzurufen?
Wenn die Leute auflegen und die Nummer angezeigt wurde können wir einfach zurückrufen. Glücklicherweise gibt es mittlerweile auch ein Ortungssystem für Handynummern. Das klappt aber nur, wenn das Gerät dies auch zulässt. Alternativ können wir dem Anrufer auch eine SMS schicken mit einem Link zur Bestätigung, damit die Leitstelle Zugriff auf die Ortung bekommt. Das funktioniert meiner Meinung nach nur in 50% der Fälle. Oft ist es nicht nachvollziehbar, von wo der Anruf kam, wenn jemand zu früh auflegt. Die Technik kann zwar viel, aber noch zu wenig.
Wie wirkt sich die aktuelle Situation rund um die Corona-Pandemie auf Ihre Arbeit aus?
Aktuell sind die Leitungen der 116117 überlastet. Die Leute sind oft lange in der Warteschlange und denken dann bei der 112 komm ich ja gleich durch. Aber die 112 ist eine Notrufnummer. Neben den lebensbedrohlichen Einsatzsituationen nehmen wir Anrufe mit Verdacht auf Corona entgegen. Derartige Gespräche blockieren die Notrufnummer 112, binden Mitarbeiter in der Integrierten Leitstelle und damit auch schnelle Hilfe für in Not geratene Mitmenschen. Das kommt wahnsinnig oft vor. Bei Corona-Verdacht können wir nicht weiterhelfen, das muss der Bereitschaftsarzt der KVB vor Ort beurteilen und bei Notwendigkeit eine Einweisung ins Krankenhaus veranlassen. Bei lebensbedrohlichen Situationen wie Atemnot und schweren Herz-Kreislaufsituationen, ist natürlich die europaweite Notrufnummer 112 zu wählen. Und sollte während einem Anruf bei der 116117 eine Atemnot festgestellt werden, leiten die Kollegen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes der KVB direkt an uns weiter.