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Sich kümmern können – Eine Schicht auf dem REF
In Regensburg wurde zwei Jahre lang ein neues Rettungsmittel getestet. Das Rettungseinsatzfahrzeug (REF) soll den Rettungsdienst entlasten, der immer mehr Einsätze bewältigen muss. Nicht jeder davon ist ein Notfall, bei dem unmittelbare Lebensgefahr besteht und ein Transport erforderlich scheint – dann kommt das REF. Sebastian Lange, Abteilungsleiter Rettungsdienst in der BRK-Landesgeschäftsstelle, ist eine Schicht auf dem REF mitgefahren und berichtet von seinen Eindrücken.
Herr Lange, wie kam es zu Ihrer REF-Schicht? Fahren Sie öfter Rettungsdienst-Schichten?
Eigentlich nicht. Ich war viele Jahre Leiter Rettungsdienst in Regensburg und im Einsatzdienst als Einsatzleiter Rettungsdienst und Organisatorischer Leiter. Mit meinem Job als Abteilungsleiter kann ich das leider nicht mehr verbinden. Mir ist es aber wichtig, Feedback zu bekommen von den Menschen, die draußen im Einsatz sind. Wir treffen jeden Tag für sie und ihren Arbeitsalltag Entscheidungen. Deshalb besuche ich einmal pro Quartal einen Kreisverband, wo ich auch mit Notfallsanitätern, Wachleitern oder Ehrenamtlichen ins Gespräch komme - ein Forum für Ideen, Kritik und Feedback. So entstand auch die Schicht auf dem REF.
Das REF ist normalerweise mit einem/einer Notfallsanitäter*in besetzt – waren das nur Sie?
Wir waren zu zweit. Ich bin mit dem Kollegen Andreas Bauer die Schicht gefahren, ihm obliegt die regionale Projektleitung des REF in Regensburg. Ich wollte von einem am REF besonders erfahrenen Notfallsanitäter lernen und nicht nur allein eine Schicht besetzen.
Wie war ihr erster Eindruck vom REF?
Das Fahrzeug kannte ich bereits, in meiner Regensburger Zeit hatte ich es mitkonzipiert. Vergleichbare Systeme zum REF gibt es übrigens auch in Kanada und Österreich. Wirklich interessant wurde es für mich bei einem Einsatz mit dem REF, bei dem – wenn es das REF nicht geben würde – der reguläre Rettungsdienst, also ein RTW alarmiert worden wäre. Herzprobleme in fortgeschrittenem Alter waren durch die ILS angegeben worden. Vor Ort wurde jedoch klar, dass hier viel eher Einsamkeit ein Thema ist. Der Patient zeigte keine Auffälligkeiten nach der Untersuchung, war bereits am Vortag beim Arzt gewesen und wollte nun ins Krankenhaus. Mit dem REF hatten wir Zeit für eine ausführlichere Anamnese. An dem Tag hatte es Blitzeis und so hakten wir den Patienten unter und sind mit ihm 300 m zum Hausarzt gelaufen, wo man ihn bereits kannte. Er war dann beruhigt und war froh, dass wir uns die Zeit genommen hatten. Für das REF sind erweiterte soziale Fertigkeiten wie auch ein breites Fachwissen in der außerklinischen Akutversorgung wichtig, für die dann auch die Zeit da ist. Der reguläre Rettungsdienst hat wenig zeitliche Kapazität, wenn es nicht lebensbedrohlich ist. Vermutlich hätte man ihn ohne REF rasch in ein Krankenhaus gebracht. Für mich war das ein Schlüsselerlebnis: Der Einsatz mit dem REF hat einen Transport in die Notaufnahme vermieden und die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass der Patient in den nächsten Tagen erneut den Rettungsdienst ruft, weil wir uns ausreichend Zeit für ihn genommen haben.
Wie kam es überhaupt zu dieser Idee? Auf welches Problem soll das REF die Antwort liefern?
Die Grundidee ist aus der Erkenntnis geboren, dass die Gesamtzahl der Einsätze im Rettungsdienst exorbitant gestiegen ist, gleichzeitig aber die Zahl der lebensbedrohlichen Notfälle gleichbleibend ist. Wir haben einen Zuwachs an Einsätzen mit „low code“, also Einsätzen ohne Lebensgefahr. Wenn die ILS im Rahmen der Notrufabfrage erkennt, dass keine Lebensgefahr besteht und voraussichtlich kein Transport in ein Krankenhaus indiziert ist, wird das REF geschickt. Das REF ist ein Rettungsdienstfahrzeug auf Basis eines NEF, welches eine an die Aufgabe angepasste RTW-Ausstattung mit sich führt. Der Rettungsdienst soll entlastet werden. Andere ambulante Strukturen greifen oft nicht nachts, sind häufig nicht bekannt, es herrscht Personalmangel im Gesundheitsbereich und bis zum Facharzttermin dauert es Wochen – hier greift das REF.
Das REF ist also für leichte Fälle gedacht. Welche Einsätze haben sich auf Ihrer Schicht ereignet?
Ein Patient klagte über starke Zahnschmerzen. Er hatte keine Angehörigen oder Freunde, die er bitten konnte, ihn zum Zahnarzt zu bringen. Also haben wir eine Zahnarztpraxis kontaktiert, für den gleichen Tag einen Termin vereinbart und bei den Nachbarn gefragt, ob sie ihn fahren können. Das hat problemlos funktioniert. Ich konnte bei der Schicht auch beobachten, dass der reguläre Rettungsdienst viele Einsätze hatte, die eigentlich für das REF gemacht wären. Es hängt von der ILS ab, wie die Einsätze disponiert werden.
Im BRK-Kreisverband Regensburg lief die Testphase damit von 2022-2024. Hat sich das REF bewährt?
Ja, das hat es und das Pilotprojekt ist abgeschlossen. Seit dem 1.1.2025 läuft der s.g. erweiterte Probebetrieb. Eine ILS kann weiterhin nur Fahrzeuge mit Blaulicht alarmieren, aber keine Pflegedienste oder dergleichen. Das Spektrum der gesundheitlichen Versorgung ist aber groß. Die Kolleginnen und Kollegen haben mir erzählt, dass sie mit dem REF Kontakte zu anderen Einrichtungen in der Region geknüpft haben, um die Patienten an die richtige Stelle zu vermitteln. Dafür haben Sie auch die Zeit, sich ein genaues Bild der Lage zu machen oder eben einfach mal zuzuhören.
Was hören Sie sonst von Kolleginnen und Kollegen, die das REF besetzen? Ist das eine willkommene Abwechslung zum sonst turbulenten Rettungsdienst-Alltag?
Der Einsatz auf dem REF ist eine sehr erfüllende Aufgabe. Auf dem RTW hat man weniger Zeit und später ein schlechtes Gefühl, wenn man nicht angemessen helfen konnte. Auf dem REF kann ich mich kümmern, auch um Kleinigkeiten. Die Wertschätzung der Patienten ist groß. Durch Vermittlung oder Ratschläge kann man viel erreichen.
Wird man demnächst mehr REFs auf Bayerns Straßen antreffen?
Dazu sind wir in Abstimmung mit dem Innenministerium und den Krankenkassen, um das System weiter zu etablieren. Zum REF gibt es auch eine Initiative aus dem Bayerischen Landtag, zu welcher sich der Abgeordnete Bernhard Seidenath sehr stark gemacht hat. In der Zukunft sollen zwei weitere Standorte in Bayern etabliert werden.
Das REF klingt nach einer Mischung aus Hausbesuch des Arztes, Hausnotruf und Notfall bzw. nach einem Zwischenmodell, das sich zwischen diesen Bereichen bewegt – ein Sinnbild für die große Bandbreite, die der Rettungsdienst mittlerweile abdecken muss?
Ja, aber wir wollen keine Fachspezialisten ersetzen. Wir haben keine pflegerische Ausbildung, ersetzen auch keinen Pflegedienst oder Palliativdienst. Der Rettungsdienst ist für Notfälle erfunden worden. Es muss aber gewährleistet sein, dass ein Notfall vorliegt. Sonst können wir nicht so helfen, wie es erforderlich ist. Im Rettungsdienst ist es unser Ziel, angemessen zu helfen und den Patienten richtig zu versorgen. Sogenannten „frequent callern“ müssen wir anders begegnen. Sie rufen fünfmal pro Monat oder häufiger den Rettungsdienst – aus Einsamkeit oder Unsicherheit zum Beispiel. Hier müssen wir den präventiven Gedanken auch in der außerklinischen Akut- und Notfallversorgung etablieren, um genau solche Einsätze in der Zukunft zu vermeiden. Aufsuchende Systeme im Ausland zeigen hier beeindruckende Ergebnisse. „Hilfe nach dem Maß der Not“ – das hat sich das Rote Kreuz auf die Fahne geschrieben und in einigen Fällen hilft das REF besser als der RTW. Die Patienten sollen sich mit ihren Problemen ernstgenommen fühlen und wir wollen ihnen dabei professionell helfen.